Aktivitäten

Große Anfrage zur „Dritten Option in Niedersachsen“

Im Januar 2021 stellte die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen eine Große Anfrage zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zur „Dritten Option“ in Regierung, Ministerien und Verwaltung Landes Niedersachsen.

Ziemlich genau ein Jahr später wurde die Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung veröffentlicht. Die gesamte Anfrage mit den Antworten ist hier zu finden.

Am 24.2. wird zwischen ca. 15.30 und 16.30 Uhr die große Anfrage im Landtag diskutiert, die komplette Tagesordung ist hier zu finden. Die Plenartagung kann vor Ort oder im Live-Stream des Landtages verfolgt werden. Später steht eine Aufzeichnung der Debatte im Plenar TV zur Verfügung. Hier gibt es weitere Informationen zum Verfolgen der Debatte.

Die Landeskoordination Inter* im QNN und Intergeschlechtliche Menschen Landesverband Niedersachsen e.V. (IMLVNDSeV) hat die Beantwortung der Großen Anfrage im Folgenden nach selbst gewählten Kategorien zusammengefasst und kommentiert:

Rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung

Antwort der Landesregierung (zusammengefasst):

Die Landesregierung wirkt aktiv darauf hin, dass bei allen Änderungen von Rechts- und Verwaltungsvorschriften auch eine Prüfung auf Geschlechtergerechtigkeit vorgenommen wird. Das schließt die Anerkennung von geschlechtlicher Vielfalt mit ein. Der Beantwortung der einzelnen Fragen stellt für Landesregierung voran: „Die Aufklärungsarbeit – insbesondere auch zu den Unterschieden der Begrifflichkeiten trans* und inter* – ist zum jetzigen Zeitpunkt noch ein langer Prozess. Die Landesregierung ist bestrebt, eine Sensibilisierung für diese Themen voranzubringen und die gesellschaftliche und politische Akzeptanz von mehr als zwei Geschlechtern auszubauen. Daher ist sie kontinuierlich bestrebt, in allen maßgeblichen Bereichen die unterschiedlichen Geschlechterperspektiven einzubeziehen und damit der Lebenswirklichkeit einer Vielzahl geschlechtlicher Identitäten Rechnung zu tragen.“[1] Ferner wird verdeutlicht dass die Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt und das Durchbrechen binärer Vorstellungen von Geschlecht nicht nur durch rechtliche Vorschriften erfolgt kann, sondern ein intensiver gesellschaftlicher Prozess ist, den die Landesregierung bestmöglich unterstützen möchte.

Kommentar:

Wir begrüßen das Engagement der Landesregierung zur Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung. Die Landeskoordination Inter* im QNN und IMLVNDSeV freuen sich auf die weitere Zusammenarbeit.

Verwaltungstechnische Umsetzung der Dritten Option

Antwort der Landesregierung (zusammengefasst):

In einigen Bereichen (z.B. Pass- und Melderecht) wurden durch rechtliche Anpassungen die Änderungen des Personenstandsrechts vorgenommen. Die Umsetzung ist nicht abgeschlossen, sondern wird als kontinuierlicher Prozess angesehen. Die Komplexität der Verwaltungsstrukturen verlangt viel Geduld und auch die technischen Umsetzungen von IT-Systemen braucht Zeit: „Darüber hinaus ist der Bedarf an interner – wie auch an externer – Aufklärungsarbeit im Kontext „Intergeschlechtlichkeit“ noch sehr hoch, sodass über den Abschluss der Umsetzung keine Prognose gegeben werden kann.“[2]

Kommentar:

Wir stimmen zu dass bei der Aufklärungsarbeit im Kontext Intergeschlechtlichkeit noch viel Arbeit notwendig ist und stehen als Kooperations- und Ansprechpartner*innen für Schulungen, Workshops, etc. zur Verfügung.

Sprache

Antwort der Landesregierung (zusammengefasst):

„In allen Bereichen des öffentlichen Dienstes ist einer Geschlechterdiskriminierung durch geschlechtergerechte Sprache und Darstellung aktiv entgegenzuwirken.“[3] In der schriftlichen und mündlichen Kommunikation der Verwaltung werden zunehmend geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet um auch Menschen, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen, anzusprechen. Die sprachliche Inklusion jenseits der Binarität von männlich und weiblich ist jedoch noch nicht verankert, sondern „[f]ür die Landesregierung gilt die Anwendung/Beachtung des Beschlusses des Landesministeriums (heute Landesregierung) über Grundsätze für die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Rechtssprache vom 09.07.1991 (Nds. MBl. S. 911). Die sprachliche Inklusion weiterer Geschlechter jenseits der Binarität ist hier nicht verankert.“[4]

Kommentar:

Hier sehen wir dringenden Nachholbedarf und fordern die verbindliche Verankerung einer geschlechtergerechten Sprache, die alle Geschlechter berücksichtigt, z.B. durch möglichst geschlechtsneutrale Formulierungen und/oder die Verwendung des „Gender-Sternchens“. Diese Regelung sollte im gesamten Verwaltungshandeln, sowie der Kommunikation nach innen und außen gelten.

Statistische Erhebungen

Antwort der Landesregierung:

„Eine Aussage zu der Anzahl der Personen in Niedersachsen, welche sich biologisch weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, lässt sich nicht eindeutig treffen. Die wissenschaftlichen Schätzungen variieren zwischen 0,02 % und 1,7 % der Bevölkerung.“[5]

Kommentar:

Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Varianten der geschlechtlichen Entwicklung und des häufig unbekannten intergeschlechtlichen Potentials gibt es zur Frage wie viele intergeschlechtliche Menschen in Niedersachsen leben nur Schätzungen. Da eine Änderung des Geschlechtseintrages aufgrund §45b PStG freiwillig ist, lässt auch das keine Rückschlüsse auf die Anzahl der in Niedersachsen lebenden Menschen mit intergeschlechtlichem Potential zu. Zur vertiefenden Lektüre empfehlen wir „FAKTEN ZU INTERGESCHLECHTLICHKEIT – Mit welcher Identität und welchem Personenstandseintrag leben intergeschlechtliche Menschen?“

IMLVNDSeV würde sich eine fundierte Erhebung von Seiten des statistischen Landesamtes wünschen, gerne in Zusammenarbeit mit dem Queeren Netzwerk Niedersachsen (QNN) und IMLVNDSeV.

Aufklärung und Beratung

Antwort der Landesregierung (zusammengefasst):

Die Landesregierung fördert die Beratungs- und Aufklärungsarbeit zu Intergeschlechtlichkeit über die Landeskoordination Inter*, einem Kooperationsprojekt vom QNN und IMLVNDSeV. Die Landeskoordination Inter* bietet Workshops an, berät Organisationen, koordiniert Kampagnen und vernetzt relevante Akteure in Niedersachsen. IMLVNDSeV führt Beratungen durch und koordiniert die intergeschlechtliche Selbsthilfe in Niedersachsen. Auch der Verein für sexuelle Emanzipation in Braunschweig bietet ehrenamtliche Erstberatungen an. Bundesweit ist die intergeschlechtliche Peerberatung für intergeschlechtliche Menschen und deren Angehörige erreichbar. Die bundesweite Beratungsstelle zum Themenbereich Intergeschlechtlichkeit von Intergeschlechtliche Menschen e.V. (IMEV) berät intergeschlechtliche Personen und deren Angehörige, vermittelt Kontakte und ist für Presseanfragen sowie Beratungen für verschiedene Organisationen und Institutionen zuständig.

Kommentar:

In den letzten Monaten und Jahren hat das Interesse am Thema Intergeschlechtlichkeit enorm zugenommen. Das liegt an der erhöhten Sichtbarkeit des Themas im öffentlichen Diskurs und an dem erhöhten Interesse an queeren Themen generell. Deshalb halten wir einen Ausbau der Förderung von Aufklärungs- und Beratungsarbeit in Niedersachsen und bundesweit für dringend erforderlich. Zudem hat das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz ein flächendeckendes Beratungsangebot für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern oder Sorgeberechtigten gesetzlich festgeschrieben.  Mehr Informationen dazu sind hier zu finden: „Fakten zu Intergeschlechtlichkeit #6: Inklusiv und differenziert: Das Kinder- und Jugendstärkungs-gesetz und seine erweiterte Geschlechterperspektive“.

Medizinisches Personal

Antwort der Landesregierung:

Die S2k-Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“[6] besagt, dass unter Varianten der Geschlechtsentwicklung definitionsgemäß Diagnosen zusammengefasst werden, „bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind.“[7]

Kommentar:

Die S2K-Leitlinie empfiehlt u.a. den Verweis an die intergeschlechtliche Peerberatung und Selbsthilfe für alle Menschen mit Varianten der geschlechtlichen Entwicklung und Eltern intergeschlechtlich geborener Kinder. Leider ist diese Leitlinie noch immer zu wenig bekannt unter medizinischem Personal und darüber hinaus nicht verpflichtend. Wir fordern die Schaffung verbindlicher „Standards of Care“ unter Einbezug intergeschlechtlicher Personen und deren Organisationen. Die Aufklärung und Schulung von medizinischem Personal muss dringend erhöht werden. Insbesondere Hebammen und Geburtshelfer*innen sind eine wichtige Zielgruppe, denn sie sind die oft die ersten die die Intergeschlechtlichkeit eines Kindes feststellen. Daher haben sie einen großen Einfluss darauf, wie belastet der gemeinsame Start von Eltern und Kind ggf. ist. Deshalb begrüßen wir sehr, dass die Landesregierung im Kontext der Akademisierung der Geburtshilfe die Vermittlung von Grundwissen zu Intergeschlechtlichkeit bei dieser Berufsgruppe anstrebt.[8] Die Landeskoordination Inter* im QNN und IMLVNDSeV unterstützen dabei mit ihrer Fachexpertise. Weitere Informationen speziell für Hebammen und Geburtshelfer*innen sind in der Broschüre „Was ist es denn?“ von IMeV und IMLVNDSeV zu finden.

Schule

Antwort der Landesregierung (zusammengefasst):

Die Landesregierung strebt an durch die Lehrkräftefortbildung das Wissen über Intergeschlechtlichkeit bei Lehrpersonal zu erhöhen.[9]

Kommentar:

Das begrüßen wir ausdrücklich, denn die Schule ist ein wichtiger Sozialisationsort für Kinder und Jugendliche, die dort oft einem großen Normierungsdruck ausgesetzt sind. Aufgrund des gesetzlichen OP-Verbotes ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren vermehrt offen intergeschlechtlich lebende Kinder und Jugendliche in die Schule kommen. Darauf müssen die Schulen vorbereitet sein! Die Landeskoordination Inter* und IMLVNDSeV stehen für Unterstützung zur Verfügung. Das Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekt SCHLAU Niedersachsen veröffentlicht demnächst in Kooperation mit der Landeskoordination Inter* und der Landesfachstelle Trans* im QNN die Broschüre „Geschlechtliche Vielfalt im Klassenzimmer“ und kann für Workshops angefragt werden. Wertvolle Informationen enthält auch die Publikation „FAKTEN ZU INTERGESCHLECHTLICHKEIT Schule „divers“ denken: Anregungen und Beispiele für Unterricht und Schulalltag“.

Antwort der Landesregierung:

„Gleichwohl besteht bei der Kommission Sport der Kultusministerkonferenz eine Arbeitsgruppe „Drittes Geschlecht und Sportunterricht“, der die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt angehören. Diese plant einen Fachtag, der dazu führen soll, mehr Expertise bei den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern der Bundesländer zu erzeugen, um gegebenenfalls bei Bedarf sachgerechte Einzelfalllösungen zu erzielen.“[10]

Kommentar:

Diese Initiative begrüßen wir ausdrücklich, denn besonders der Sportunterricht ist ein schwieriger Ort für intergeschlechtliche Schüler*innen: Für Umkleide- und/oder Duschmöglichkeiten, sowie die Bewertung – die im Sportunterricht in der Regel nach binären Mustern erfolgt – müssen Regelungen für individuelle Einzellösungen gefunden werden.

Antwort der Landesregierung:

„Vorschriften wie z. B. die Arbeitsstättenverordnung sind im Sinne der Rechtssicherheit anzupassen.“[11]

Kommentar:

Diese Forderung der Landesregierung begrüßen wir ebenfalls ausdrücklich, denn die Arbeitsstättenverordnung gilt auch für Schulen und schreibt nur binär getrennte Sanitäranlagen vor. Ob Toiletten für alle angelegt oder ausgeschrieben werden, liegt im Ermessen der Schule, bzw. der Arbeitsstätte. Da insbesondere Sanitäranlagen Orte sind an denen intergeschlechtliche Menschen vermehrt Diskriminierungen erleben, wäre hier Rechtssicherheit durch Anpassung notwendig.

OP-Verbot

Antwort der Landesregierung:

„Die Landesregierung möchte zukünftige Übergriffe verhindern und begrüßt daher die aktuellen Entwicklungen zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung.“[12]

Kommentar:

Dieses Statement begrüßen wir ausdrücklich. Viele intergeschlechtliche Kinder wurden in den letzten Jahrzehnten medizinisch nicht notwendigen Eingriffen unterzogen. Diese medizinischen Maßnahmen waren schwere Menschenrechtsverletzungen, denn sie widersprechen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, sowie dem Recht auf geschlechtlicher und sexueller Selbstbestimmung. Die wesentliche aktuelle Entwicklung in diesem Kontext ist das im März 2021 verabschiedete „Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ (§1631 e BGB). Dieses Gesetz verbietet medizinische Maßnahmen, die nur dazu dienen, ein körperlich männliches oder weibliches Normgeschlecht herzustellen. Leider bietet das Gesetz noch einige Schutzlücken durch Umgehungsmöglichkeiten (mehr Infos dazu sind in dieser Pressemitteilung von ImeV zu finden). Laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung sollen diese aber beseitigt werden. Der Schutz, den das gesetzliche OP-Verbot nun bietet, kommt für die Betroffenen der Eingriffe aus den letzten Jahrzehnten zu spät.

Antwort der Landesregierung:

„Eine finanzielle Entschädigung kann die Erlebnisse und Eingriffe in die Selbstbestimmung der betroffenen Menschen nicht rückgängig machen. Eine Diskussion zur Forderung eines Entschädigungsfonds auf niedersächsischer Ebene findet zum aktuellen Zeitpunkt nicht statt.“[13]

Kommentar:

Diese Aussage der Landesregierung bedauern wir sehr. Natürlich kann erfahrenes Leid nicht rückgängig gemacht werden. Doch wir fordern eine Entschädigung aus anderen Gründen: Viele intergeschlechtlichen Menschen wurden durch die medizinisch nicht notwendigen Eingriffe an Körper und Seele verletzt. Diese Verletzungen führten in vielen Fällen zu Schwerbehinderungen und abgebrochenen Erwerbsleben mit massiven finanziellen Einbußen. Hier sehen wir auch eine staatliche Verantwortung für das erfahrene Leid, denn die Kritik von Selbstorganisationen an den medizinische Maßnahmen wurde in der Vergangenheit ignoriert. Wir fordern, dass die medizinischen Maßnahmen und deren Folgen als Unrecht anerkannt und finanziell entschädigt werden. Wir begrüßen daher sehr den Koalitionsvertrag der Bundesregierung, welcher die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für inter* und trans *geschlechtliche Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen betroffen waren. Wir wünschen uns eine klare Positionierung der Landesregierung für dieses Vorhaben.

Personenstandsgesetz/Selbstbestimmungsgesetz

Antwort der Landesregierung:

„Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Oktober 2017 (- 1 BvR 2019/16 -) und einer darauf folgenden Änderung des Personenstandsgesetzes wurde neben den Geschlechtskategorien „männlich“ und „weiblich“ die sogenannte Dritte Option „divers“ beim Geschlechtseintrag ermöglicht. Seither gibt es für Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, die Möglichkeit, die Kategorie „divers“ in das Personenstandsregister eintragen zu lassen. Die Möglichkeit, keinen Geschlechtseintrag vorzunehmen, bleibt davon unberührt. Auch der Vorname kann entsprechend geändert werden. Voraussetzung ist jedoch ein ärztliches Attest zur Feststellung einer „Variante der Geschlechts-entwicklung“ oder unter bestimmten Voraussetzungen eine Erklärung an Eides statt.“[14]

Kommentar:

Wir lehnen die Pathologisierung durch das ärztliche Attest ab und wünschen uns von der Landesregierung die aktive Unterstützung des im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetzes. Wir hoffen, dass dieses Selbstbestimmungsrecht seinem Namen gerecht wird! Das wird es nur wenn es zukünftig möglich sein wird, dass alle Menschen selbstbestimmt ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen ändern können.

Leider wurde einige Themen in der Großen Anfrage nicht behanldet, sind jedoch aus unserer Sicht sehr wichtig. Deshalb sollen sie an dieser Stelle mit aufgenommen werden:

Alter

Aufgrund der Erfahrungen mit medizinischen Einrichtungen gibt es teilweise große Vorbehalte gegenüber Pflegeeinrichtungen. Im schlimmsten Fall kann eine unsensible, uninformierte Betreuung und Pflege zu Retraumatisierungen führen. Es braucht beim Pflegepersonal spezielle Expertise für eine sensible Betreuung und Pflege intergeschlechtlicher Menschen. Wir wünschen uns Standards zur Aus-, Fort- und Weiterbildung bei Pflegepersonal und Anbieter*innen von Pflegeplätzen. Einzelne Projekte – wie „Queer im Alter – Öffnung der Altenpflegeeinrichtungen für die Zielgruppe LSBTIQ*“ haben bereits wichtige Ergebnisse erzielt und wertvolle Publikationen erarbeitet. Diese müssen aber auch in den Einrichtungen ankommen. Die Publikation „Fakten zu Intergeschlechtlichkeit #5: Wie können intergeschlechtliche Menschen in Pflegeeinrichtungen gut versorgt werden?“ bietet dazu wertvolle Informationen.

Gleichbehandlung und Antidiskriminierung

Das Niedersächsische Gleichberechtigungsgesetz (NGG) ist noch immer binär strukturiert da es um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen geht. Hier wird dringender Handlungsbedarf gesehen denn intergeschlechtliche Menschen erfahren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und sind von einer Gleichberechtigung aufgrund ihres Geschlechtes weit entfernt. Auch wenn immer mehr (kommunale) Gleichstellungsbeauftragte auch die Belange und Bedarfe inter* und trans*geschlechtlicher Menschen bearbeiten, fehlt hier eine klare Regelung wer in den Kommunen für Fragen der geschlechtlichen Vielfalt ansprechbar ist. Hier wünschen wir und Klarheit und klar definierte Ansprechpersonen.

Sport

Breiten- und Leistungssport sind größtenteils binär aufgeteilt in Männer- und Frauenteams, sowie Bewertungssysteme und Leistungstabellen die in Männer und Frauen unterteilt sind. Hier wünschen wir uns mehr Initiative, um nicht-binäre Konzepte und Ideen für den Breiten- und Leistungssport zu entwickeln und zu fördern.

Kita

Analog zur Schule werden aufgrund des gesetzlichen OP-Verbotes auch Kitas in den folgenden Jahren vermehrt von intergeschlechtliche Kinder besucht werden. Hier wünschen wir uns von der Landesregierung eine klare Positionierung für eine verstärkte Aufnahme des Themas in Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erzieher*innen.

Sichtbarkeit

Durch die Operationen und den Geschlechtseintrag, der bis vor wenigen Jahren nur binär möglich war, wurden intergeschlechtliche Menschen strukturell unsichtbar gemacht. In einer streng binären Gesellschaft durfte es Intergeschlechtlichkeit nicht geben. Deshalb sind wir sehr froh über die gesetzlichen Änderungen wie dem OP-Verbot. Damit wurden wichtige Forderungen der intergeschlechtlichen Selbsthilfe endlich erfüllt. In der Konsequenz möchten intergeschlechtliche Menschen endlich sichtbar werden! Wir fordern, dass die Landesregierung Maßnahmen, wie die Kampagne „Ich bin Inter* – Sieht man doch“ weiterhin fördert, um die Sichtbarkeit intergeschlechtlicher Menschen zu erhöhen. Denn nur wenn intergeschlechtliche Menschen sichtbar sind, können sie von ihren Forderungen und Bedarfen berichten. Das ist wichtig, denn wie die Landesregierung in ihrer Antwort auf die große Anfrage mehrfach betont, genügen gesetzliche Änderungen nicht. Es bracht einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel, der längst begonnen hat, aber lange noch nicht angeschlossen ist. Die Diskriminierung von intergeschlechtlichen Menschen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nur mit dem Verlernen einer strikt zweigeschlechtlichen Ordnung gelöst werden kann.

Kontakt und weiterführende Informationen

[1] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 7.

[2] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 2.

[3] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 2.

[4] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 9.

[5] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 1.

[6] Die S2K-Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ ist eine konsensbasierte Leitlinie, die von verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften und intergeschlechtlichen Selbstorganisationen erarbeitet wurde. Sie enthält Empfehlungen für die adäquate medizinisch-psychologische Begleitung von intergeschlechtlichen Menschen, B. durch den Verweis auf die intergeschlechtliche Selbsthilfe und Peerberatung: https://www.aem-online.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/S2k_Geschlechtsentwicklung-Varianten_2016-08_01_1_.pdf

[7] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 6.

[8] Vgl. Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 9.

[9]  Vgl. Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 9.

[10] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 33f.

[11] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 9.

[12] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 11.

[13] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 11.

[14] Große Anfrage mit Antwort der Landesregierung, S. 1.